Überlebenskünstler aus dem Township Imizamo Yethu
Während meines Sabbatjahres arbeitete ich an der Moravian Primary School in Hout Bay (ca. 20km von Kapstadt entfernt). Diese Schule wird von den Kindern des nahegelegenen Townships Imizamo Yethu besucht.
Townships entstanden während der Apartheid (1948-1990) überall vor den Städten der Weißen. Das Gesetz (“group area act”) bestimmte zu dieser Zeit, dass überall im Land Siedlungsgebiete ausgewiesen werden mussten, in denen ausschließlich Weiße oder Schwarze leben dürfen; ein Zusammenleben war gesetzlich verboten. Den Schwarzen wurden entlegene strukturschwache Gebiete, die sogenannten “Homelands”, zugewiesen.
Da die Schwarzen aber für die Weißen arbeiten sollten, durften sie sich während ihrer Arbeitszeit in den Städten der Weißen aufhalten. Nach der Arbeit mussten sie die Städte wieder verlassen. Da die ihnen zugewiesenen Homelands, weit entfernt lagen, begannen sie Townships zu errichten. Es sind Vorstädte, die vor den Städten der Weißen lagen, um schnell zur Arbeit gelangen zu können. Imizamo Yethu stellt eine seltene Ausnahme dar; es ist das einzige Township Südafrikas, das (zumindest auf der Landkarte) in den Ort Hout Bay integriert ist.
Vor den Städten der Weißen bauten sich die Schwarzen aus dem, was sie bekommen konnten, kleine Unterkünfte. So entstanden zahlreiche “shacks”; notdürftig aus Holz, Wellblech und Plastik zusammengezimmerte Unterkünfte. Nach und nach wurden auch Dienstleister des täglichen Bedarfs ansässig; Lebensmittelverkäufer, Friseure, Bäcker, Metzger, Schuster öffneten ihre shops. So entstanden nach und nach kleine Städte vor den Städten; eben die Townships bzw. Vorstädte.
Anmerkung: Es widerstrebt mit zutiefst von “den Schwarzen” und “den Weißen” zu sprechen; doch um die Gegebenheiten während der Apartheid beschreiben zu können, muss ich diese “Unterscheidung” übernehmen, denn nur so lässt sich der Wahnsinn dieser Zeit beschreiben.
Auch jetzt 27 Jahre nach der Apartheid hat sich in den Townships nur wenig geändert: Die Zahlen, welche die schwierigen Lebensbedingungen der Menschen anhand von nüchternen Statistiken beschreiben kannte ich; sie werden in allen Reiseführern erwähnt und zugleich wird ständig davor gewarnt, als “Tourist” alleine in die Townships zu gehen.
Doch ich wollte in die Townships; ich wollte sehen und verstehen, wie die Kinder, mit denen ich die Vormittage in der Schule verbrachte, hier mit ihren Familien leben.
In den ersten Tagen nahm Kevin (Leiter der Volontär-Agentur “volunteersdirect” / http://www.volunteersdirect.co.za ) mich immer wieder mit auf seine “Township-Touren” durch Imizamo Yethu. Er “sammelte” nach dem Unterricht einige Kinder der Moravian ein, um sie zu Nachmittagsangeboten oder zum Nachhilfeunterricht zu bringen. Er hatte ein Netzwerk Ehrenamtlicher aufgebaut und versuchte immer wieder Kinder in die Obhut dieser lieben Menschen zu geben. Sie konnten ein wenig von dem kompensieren, was sie in ihren Familien -aus allzu verständlich und nachvollziehbaren Gründen- oft nicht bekommen konnten. Es war immer total schön und berührend zu erleben, wie sich die Kinder freuten, wenn sie Kevin auf dem Schulhof, nach der Schule oder irgendwo in Imizamo Yethu “entdeckten”. Sobald er irgendwo anhielt, war sein Bakkie voller Kinder und wenn er ausstieg, war er umringt von Kindern; er ist für die Kinder in Imizamo Yethu ein “Star”. Sie lieben ihn; ich denke sie spüren einfach, wie gut er es mit ihnen meint … 🙂 …
Und so lernte ich auf den Touren mit Kevin einige Kinder näher kennen und bekam so langsam ein “feeling” für ihre, mir noch fremde, Lebenswirklichkeit. Als Kevin auf einer dieser Touren -nur kurz- bei einer Bekannten vorbei schauen wollte, saß ich ein paar Minuten später im Wohnzimmer einer Sangoma. Sangoma sind in Südafrika hoch angesehene “Heiler”. In ihrem Wohnzimmer entdeckte ich auf dem Boden Tierknochen, Muscheln, Dominosteine, Federn …; eben ihr “Arbeitsmaterial” … und nun merkte ich, dass ich irgendwie in “meiner neuen Heimat” angekommen war 😉 🙂 .
Ich wollte mehr über das Leben in Imizamo Yethu erfahren. Da Kevin mich genauso wie alle anderen davor warnte, nicht alleine durch Imizamo Yethu zu gehen, solange ich noch keine guten vertrauensvollen Kontakte geknüpft hatte, nahm ich seinen Rat an und machte eine für Touristen oft angebotene “Townshiptour” durch Imizamo Yethu. Allerdings ging ich nicht mit einer Gruppe durch Imizamo Yethu, sondern machte eine “private Townshiptour” mit Patrick, einem Touristenführer. Ich sagte ihm vorab, dass ich an keiner “gewöhnlichen” Tour interessiert bin, sondern “wirklich” etwas über das Leben der Menschen in Imizamo Yethu erfahren möchte. So nahm er sich dann einen ganzen Nachmittag Zeit, mit mir durch Imizamo Yethu zu gehen und mir all die 1000 Fragen, die ich hatte, zu beantworten.
Wie mit allen Besuchern Imizamo Yethu´s ging Patrick mit mir auch in das “civic centre“. Es ist das Gemeindehaus, in dem Versammlungen abgehalten werden, Gottesdienste gefeiert werden und in dem sich auch Tanz – und Trommelgruppen treffen. Auch gibt es hier einige Räume, die von Künstlern gemietet werden können. So lernte ich Jevas, Star und Duncan kennen.
Jevas betreibt im civic centre einen “craft shop”. Dort verkauft er Souvenirs, die er aus Natur- und Recyclingmaterialien herstellt, an Touristen. So verdient er den Lebensunterhalt für sich und seine Familie. Ich war sofort begeistert von seiner Idee, aus Natur- und Recyclingmaterialien kleine Kunstwerke herzustellen. Und so übernahm ich seine Idee nach meiner Rückkehr nach Deutschland (s. WP-Kurs). Jevas ist ein echter Experte darin, scheinbar nutzlosen Müll in kleine Kunstwerke zu verwandeln. Und so tausche ich mit ihm immer noch “Bastelideen” aus, die er für seinen shop und ich für den Wahlpflichtkurs an meiner Schule nutzen kann.
Im civic centre hat auch Star einen kleinen Verkaufsstand. An ihrem Stand verkauft sie Schmuck, den sie aus Recyclingmaterialien herstellt. Sie dreht aus Verpackungsresten (Pizzakartons, Müslieverpackungen, …) kleine Perlen. Diese Perlen nutzt sie, um daraus Ketten, Armbänder und Ohrringe herzustellen. Zudem häkelt sie aus Plastiktüten Sonnenhüte und Taschen. Auch ihre Ideen übernahm ich für meinen WP-Kurs.
Ebenso wie Jevas und Star, verkauft auch Duncan seine Kunstwerke im civic centre. Duncan fertigt aus Getränkedosen Bilder, die das Leben im Township darstellen; so werden aus den Blechdosen die Wellblechhütten in denen die meisten Menschen in Imizamo Yethu leben. Auch sein Sohn Pidi mag die Kunstwerke seines Vaters und hilft beim Verkauf 😉 🙂 …
Aus diesem ersten Besuch im civic centre entwickelte sich von diesem Tag an eine gute Freundschaft zu Jevas, Duncan und Star. Sie wurden auch zu guten Ratgebern und erklärten mir in so vielen Gesprächen “die Kunst des Überlebens” in Imizamo Yethu 😉 🙂 . Durch den Verkauf ihrer Kunstwerke sind sie für sich und ihre Familien wahre “Überlebenskünstler”; und davon gibt es in Imizamo Yethu zum Glück viele 🙂 . Für mich waren und sind sie ganz wichtige & besondere Menschen, die mir so viel mit auf den Weg gegeben haben 🙂 ; – ich werde es bewahren und weitergeben.
Seit dieser “Township-Tour” war ich nun täglich in Imizamo Yethu unterwegs, um Menschen zu begegnen und zu sehen und zu verstehen, wie sie leben und überleben …
… und so traf ich Mpho & Masi 🙂 . Auch sie sind “kleine Überlebenskünstler” – und sie sind so viel mehr 🙂 🙂 ! … davon erzählt der Beitrag “Mpho und Masi zeigten mir ihr Südafrika”. Auf der Kinderseite kommen die beiden dann selbst zu Wort.